Deutschland: Aufruhr nach Äußerungen von Friedrich Merz über eine mögliche Beteiligung der Bundeswehr an der Absicherung der Ukraine

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Bundeskanzler Friedrich Merz
Bundeskanzler Friedrich Merz (Mitte) spricht mit Journalisten an Bord eines Airbus A319 der US-Luftwaffe auf dem Weg nach Washington, 18. August 2025. KAY NIETFELD/PICTURE-ALLIANCE/DPA/AP IMAGES via Le Monde.

Wie Le Monde festhält, reichte schon die bloße, rein hypothetische Erwähnung einer möglichen Rolle der Bundeswehr in Sicherheitsgarantien für die Ukraine, um ein Land aufzuwühlen, das stark von pazifistischen Traditionen geprägt ist.

„Kriegsthemen“ kehren ins Zentrum der Politik zurück

Auch wenn ein Truppeneinsatz ein rein theoretisches Szenario bleibt, genügte eine einzige Einschränkung, um die Debatte in Berlin anzuheizen. Am Montag ließ Bundeskanzler Friedrich Merz auf die Frage, welchen Beitrag Deutschland nach dem Washingtoner Gipfel leisten könnte, die Beteiligung der Bundeswehr an der Absicherung der Ukraine im Falle eines Friedensabkommens mit Moskau offen. Er betonte seine Bereitschaft, „dies mit [seiner] Koalition in Berlin zu besprechen, einschließlich der Möglichkeit von Entscheidungen, die ein Mandat erfordern – also Entscheidungen, die der Bundestag treffen müsste. Aber es ist heute zu früh für eine endgültige Antwort.“

Dieser Satz zog die Sicherung. Am Dienstag, dem 19. August, versuchte die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD), die Proteststimmung für sich zu nutzen. Auf X veröffentlichte die Partei ein Plakat, auf dem der Kanzler sich die Hände reibt – vor fünf jungen Männern mit düsteren Mienen – mit der Überschrift:
„Merz will dich in die Ukraine schicken? Wir nicht!“ Im Text heißt es weiter: „Merz will einen Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine nicht ausschließen. Das wäre keine Friedenssicherung, sondern eine dauerhafte Eskalation gegenüber Russland. Wir sagen klar: Wir schicken dich nicht in die Ukraine!“

Rechtsrahmen und politische Praxis

Wie Le Monde in Erinnerung ruft, steht die Bundeswehr unter parlamentarischer Kontrolle. Jeder Auslandseinsatz bedarf eines Bundestagsbeschlusses – in der Regel auf Grundlage eines Mandats der UN, der NATO oder der EU, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Formal genügt eine einfache Mehrheit, politischer Usus ist es jedoch, zumindest einen Teil der Opposition einzubinden.

Außenminister Johann Wadephul (CDU) schlug bereits vor, Bündnis 90/Die Grünen in die Gespräche einzubeziehen. Diese forderten umgehend eine Sondersitzung der Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschüsse.

Die Regierungskoalition ist gespalten

Selbst innerhalb der seit drei Monaten in Berlin regierenden Koalition aus CDU/CSU und SPD trieb das Thema Keile. Ex-SPD-Kanzler Olaf Scholz hatte einen Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine stets ausgeschlossen. Im Wahlkampf vor der Bundestagswahl am 23. Februar zeichnete die SPD den Unionsspitzenkandidaten Friedrich Merz als „gefährlichen Kriegstreiber“, während dieser umfangreichere Militärhilfe für Kiew – einschließlich weitreichender Waffen – versprach.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch formulierte eine entscheidende Vorbedingung: Beteiligung der Amerikaner. Wenn westliche Staaten Sicherheitsgarantien für die Ukraine übernehmen sollen, „dann ist es entscheidend, dass die Vereinigten Staaten präsent sind“, sagte er am Dienstag bei einem Besuch in Niedersachsen. Präsident Donald Trump hat allerdings den Einsatz von Bodentruppen ausgeschlossen und diese Verantwortung an die Europäer adressiert; seinerseits sei er bereit, Luftunterstützung als Bestandteil von Sicherheitsgarantien für die Ukraine in Betracht zu ziehen – für den Fall eines Friedensabkommens mit Russland.

Ein Regierungsmitglied aus dem SPD-Lager fasst die Berliner Logik so zusammen: „Die deutsche Tradition ist, eine militärische Entkopplung Europas von den USA zu vermeiden. Das bedeutet nicht zwingend amerikanische Bodentruppen, aber es braucht eine militärische Verbindungskomponente. Das ist ein Erbe des Kalten Krieges. Es geht darum zu verhindern, dass Putin die USA aus der europäischen Sicherheitsdebatte herausdrängt.“

Die pazifistische Linke: „historische Gründe“

Auch links wird die Linie „Bundeswehr raushalten“ vertreten. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht verlangte, die Soldatenfrage kategorisch zu schließen:
„Friedrich Merz muss den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Rahmen westlicher Sicherheitsgarantien für die Ukraine endgültig ausschließen – schon aus historischen Gründen. Im Konfliktfall wäre Deutschland sofort Kriegspartei, und das darf ein Kanzler nicht zulassen. Zudem ist nicht zu erwarten, dass Moskau NATO-Truppen in der Ukraine als Teil einer Verhandlungslösung akzeptiert.“

NATO, UN, OSZE: Welches „Mandat“ und welche Mission?

Der frühere SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich plädierte für einen internationalen Rahmen, bevor nationale Schritte erwogen werden: „Ich würde es bevorzugen, die Vereinten Nationen – oder zumindest die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die hier große Expertise hat – für diesen Prozess zu gewinnen, bevor wir eine individuelle Beteiligung von Nationalstaaten in Betracht ziehen.“ Zugleich bestehe die Notwendigkeit, den Auftrag jeder Mission im Voraus zu definieren: „Man kann das Parlament nicht überzeugen, wenn unklar ist, was am Ende der Auftrag sein wird“, sagte Mützenich im Deutschlandfunk.

Zweifel auch auf der rechten Seite: „Der Bundeswehr fehlen die Mittel“

Wie Le Monde berichtet, ist Skepsis auch im Lager der Christdemokraten zu hören. Laut deutschen Medien rief Unionsfraktionschef Jens Spahn seine Abgeordneten dazu auf, öffentliche Kommentare zu dem Thema zu unterlassen. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) distanzierte sich erneut von einer Ausweitung der militärischen Unterstützung für Kiew und sprach sich gegen die Entsendung von Truppen aus:
„Die Präsenz deutscher Soldaten in der Ukraine darf nicht in Betracht gezogen werden. Der Bundeswehr fehlen die Ressourcen.“, sagte er dem Wochenmagazin Der Spiegel.

Die Fähigkeiten sind tatsächlich ein wunder Punkt. Im Deutschlandfunk warnte der Wehrbeauftragte des Bundestages Henning Otte (CDU): „Es gibt eine Sache, die man nicht tun darf: immer mehr Missionen annehmen, ohne die Personalbasis zu stärken.“ Die Bundeswehr plant, ihre Stärke von derzeit rund 180.000 auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten zu erhöhen. Im Herbst soll zudem ein Gesetzentwurf zur schrittweisen Wiedereinführung der Wehrpflicht eingebracht werden.

Fazit: Eine Hypothese, die das Land spaltet

Von einem Waffenstillstand, geschweige denn einem Friedensabkommen, ist derzeit keine Rede, und Präsident Wladimir Putin zeigt keine Bereitschaft zu einer Einigung. Doch schon die hypothetische – in die Zeit „danach“ verlegte – Beteiligung der Bundeswehr reichte aus, um alte deutsche Reflexe zu aktivieren: parlamentarische Kontrolle über die Armee, Abstützung auf ein internationales Mandat, historische Skepsis gegenüber „Einsätzen im Ausland“ und die obligatorische Verknüpfung mit den USA. Wie Le Monde resümiert, bleibt Deutschland ein Land, in dem jedes Thema möglicher Gewaltanwendung sofort zum Identitätsmarker – und zum Auslöser erbitterter Auseinandersetzungen – wird.


Dieser Artikel wurde auf Grundlage von bei Le Monde veröffentlichten Informationen erstellt. Der vorliegende Text stellt eine eigenständige Bearbeitung und Interpretation dar und erhebt keinen Anspruch auf die Urheberschaft der ursprünglichen Inhalte.

Das Originalmaterial ist unter folgendem Link einsehbar: Le Monde.
Alle Rechte an den ursprünglichen Texten liegen bei Le Monde.

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