Die russische Liquidationskommission der insolventen Google-Tochter erweitert ihre internationalen rechtlichen Schritte: Dieses Mal geraten die Vermögenswerte des Unternehmens in Frankreich ins Visier. Der Liquidator versucht, eine Beschlagnahme des Eigentums von Google zu erreichen, um 110 Millionen Euro zurückzufordern – den Betrag der Dividenden, den die russische Google-Einheit an das Mutterunternehmen überwiesen hatte, kurz vor Beginn des Krieges in der Ukraine und ihrer eigenen Insolvenz.
Nach Ansicht von Bloomberg ist dieser Vorfall ein weiteres Zeichen dafür, wie schnell die traditionellen Mechanismen der internationalen juristischen Zusammenarbeit erodieren. Entscheidungen russischer Gerichte werden zunehmend als Druckmittel gegen globale Konzerne außerhalb Russlands eingesetzt.
Die Forderungen des Liquidators
Der in Paris ansässige Anwalt William Julié, der die Liquidatoren von Google Russia vertritt, erklärte, dass ein Gerichtsvollzieher bereits ein Ersuchen an das französische Google-Büro übermittelt habe, um eine vorbeugende Beschlagnahme eines Teils der Vermögenswerte des Unternehmens zu erwirken. Google hat bislang keinen Kommentar abgegeben.
Der Fall dreht sich um die Rückforderung der Dividenden, die am 22. Dezember 2021 aus der russischen Tochtergesellschaft abgezogen wurden. Ein russisches Gericht entschied später, dass diese Überweisung die finanzielle Lage von Google Russia verschlechtert und zur Insolvenz beigetragen habe.
„Ein Unternehmen kann nicht jahrelang von einem lokalen Markt profitieren und dann einfach das Verschwinden seiner Tochtergesellschaft arrangieren, indem es Gelder abzieht und Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden im Stich lässt“, sagte Julié.
Internationale Konzerne stehen vor neuen juristischen Risiken
Nach der Einführung der Sanktionen hat Russland neue rechtliche Bestimmungen eingeführt, die es von Einschränkungen betroffenen Unternehmen ermöglichen, Schadensersatzansprüche gegen ausländische Konzerne vor russischen Gerichten geltend zu machen. Diese Urteile werden dann im Ausland verfolgt, was zu direkten Konflikten zwischen verschiedenen Gerichtsbarkeiten führt.
Diese Praxis wird inzwischen als „Lawfare“ bezeichnet – die Nutzung juristischer Mechanismen als Instrument politischen und wirtschaftlichen Drucks.
Anfang dieses Jahres erzielte Google einen wichtigen Sieg im Vereinigten Königreich, wo ein Gericht den Versuch russischer Medienunternehmen blockierte, die globalen Vermögenswerte von Google zur Begleichung russischer Geldbußen zu beschlagnahmen, die im Laufe der Zeit auf unverhältnismäßige Höhen angewachsen waren.
Der geografische Umfang der Forderungen wächst
Frankreich ist nicht das einzige Land, in dem die Liquidatoren versuchen, das russische Urteil durchzusetzen. Ähnliche rechtliche Schritte wurden bereits in anderen Jurisdiktionen eingeleitet. In Südafrika unterstützten die Gerichte zunächst die Argumente der russischen Seite und erklärten sich bereit, eine mögliche Beschlagnahme der Vermögenswerte von Google zu prüfen.
Laut Bloomberg könnten ähnliche Schritte auch in weiteren Ländern folgen, in denen der Konzern Vermögenswerte besitzt.
Ein potenziell gefährlicher Präzedenzfall
Experten warnen, dass die Anerkennung des russischen Urteils in nur einem europäischen Land und die darauf folgende Beschlagnahme der Vermögenswerte eines globalen Konzerns einen äußerst problematischen Präzedenzfall schaffen könnten. Vor dem Hintergrund der politischen Spannungen zwischen Russland und dem Westen könnten solche Fälle leicht zu einem Instrument gegenseitigen Drucks werden.
Bloomberg weist darauf hin, dass der Fall Google zu einem entscheidenden Test für die Belastbarkeit des internationalen Rechtssystems geworden ist. Noch vor wenigen Jahren galt die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen als gängige Praxis unter den großen Jurisdiktionen – doch seit 2022 zerfällt dieser Mechanismus rasant.
Wie es weitergeht
Das Pariser Gericht muss nun klären, ob das russische Urteil internationalen Normen entspricht und ob es in Frankreich vollstreckt werden kann. Google wird voraussichtlich jede Beschlagnahme anfechten und sich dabei auf den britischen Präzedenzfall berufen sowie darauf, dass die russischen Insolvenzverfahren nach Beginn des Krieges nicht mehr internationalen Standards des Schutzes von Unternehmensrechten entsprechen.
Unterdessen betonen die russischen Liquidatoren, ihr Ziel sei es, Gelder zurückzuholen, die „unrechtmäßig aus der russischen Tochtergesellschaft abgezogen“ worden seien.
Der Fall Google zeigt, wie fragmentiert das internationale juristische Umfeld inzwischen geworden ist, da globale Unternehmen zwischen widersprüchlichen Rechtssystemen navigieren müssen. Die Entscheidung des französischen Gerichts könnte sich als entscheidend erweisen, um zu verstehen, wie tief die Weltwirtschaft in eine Ära zunehmender rechtlicher Zersplitterung eintreten wird.
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