Die Zentralbank balanciert zwischen sinkender Inflation und der Gefahr eines neuen Preisschubs
Die Bank von Russland dürfte trotz einer spürbaren Abschwächung der Inflation einen weiteren — bereits zweiten in Folge — moderaten Schritt zur Senkung des Leitzinses unternehmen. Nach Einschätzung von Bloomberg wird sich die Notenbank für ein äußerst vorsichtiges Vorgehen entscheiden, da eine Erhöhung der Steuerlast bevorsteht und die Inflationserwartungen in der Wirtschaft weiterhin hoch sind.
Die Mehrheit der von Bloomberg befragten Ökonomen geht davon aus, dass der Leitzins am Freitag um 50 Basispunkte auf 16 % gesenkt wird. Ein deutlich stärkerer Schritt auf 15,5 % wird lediglich von zwei der zehn Experten unterstützt. Die Entscheidung soll um 13:30 Uhr Moskauer Zeit bekannt gegeben werden, gefolgt von einer ausführlichen Erläuterung auf einer abendlichen Pressekonferenz.
Hohe Zinsen belasten die Wirtschaft weiterhin
Obwohl die Zentralbank begonnen hat, die im vergangenen Jahr eingeführte straffe Geldpolitik schrittweise zurückzufahren, bleiben die Finanzierungskosten für Unternehmen und private Haushalte extrem hoch. Eine großflächige Welle von Insolvenzen konnte bislang vermieden werden, doch in den meisten zivilen Wirtschaftssektoren, die nicht mit Rüstungsaufträgen verbunden sind, schrumpft die Produktion.
Besonders angespannt ist die Lage in Branchen, die stark von Krediten und Exporten abhängig sind. Die Zentralbank selbst räumt eine zunehmende finanzielle Belastung ein: Die Verluste nehmen im Bauwesen, in der Öl- und Gasindustrie sowie im Transportsektor zu, während die Kohleindustrie unter besonders starkem Druck steht.
Die Logik der Aufseher: eine „Bereinigung“ der Wirtschaft
Zentralbankchefin Elwira Nabiullina hat wiederholt betont, dass die straffen monetären Bedingungen ein bewusst eingesetztes Instrument der strukturellen Anpassung seien. Hohe Zinsen sollten nach ihrer Auffassung dazu beitragen, Ressourcen zugunsten effizienterer Unternehmen umzulenken.
„Ein größerer Marktanteil sollte jenen zufallen, die in der Lage sind, eine hohe Rendite zu erwirtschaften — und nicht denen, die Schulden aufgenommen haben, die ihre Möglichkeiten übersteigen“, erklärte Nabiullina im Herbst 2024, als der Leitzins auf den Rekordwert von 21 % angehoben wurde.
Zusätzlichen Druck auf die Unternehmen üben der stärkere Rubel und sinkende Weltmarktpreise für Rohstoffe aus. In diesem Umfeld verteuert sich der Schuldendienst, während die Einnahmen zurückgehen.
„Diese Zange aus Zinssätzen und Wechselkurs ist heute eines der zentralen Probleme“, sagte Alexander Schochin, Präsident des Russischen Unternehmerverbands RSPP, der einen für die Wirtschaft tragfähigen Leitzins zuvor im Bereich von 10 bis 12 % verortet hatte.
Nach Einschätzung von Analysten des Zentrums für makroökonomische Forschung der Sberbank dürfte der Leitzins diese Spanne frühestens Ende 2026 erreichen — trotz der Erwartung, dass die Inflation in diesem Jahr bei 5,7 % liegen wird, dem niedrigsten Wert seit fünf Jahren.
Inflation verlangsamt sich, doch die Sorgen bleiben
Im November ging die jährliche Inflationsrate deutlich auf 6,64 % zurück, nach 7,71 % im Oktober. Wöchentliche Daten vor der Zinssitzung deuten auf eine weitere Abschwächung in Richtung 6,1 % hin. Damit verläuft der Inflationsrückgang schneller als in den eigenen Prognosen der Zentralbank angenommen.
Dennoch bleibt der Regulator vorsichtig. In einem jüngsten Bericht wurde erneut auf steigende Inflationserwartungen hingewiesen, was nach Ansicht der Bank von Russland „die Notwendigkeit unterstreicht, voreilige Schlüsse über das Ende der Phase hoher Inflation zu vermeiden“.
Der Steuerfaktor: die größte Unsicherheit
Die Fiskalpolitik stellt weiterhin das zentrale Risiko für die Preisentwicklung dar. Die Entscheidung der Regierung, zur Finanzierung der Militärausgaben bei sinkenden Öleinnahmen die Steuern zu erhöhen, hat die Erwartungen von Haushalten und Unternehmen deutlich beeinflusst. Im Dezember stiegen die Inflationserwartungen der privaten Haushalte auf 13,7 %, während die Preiserwartungen der Unternehmen den höchsten Stand seit Jahresbeginn erreichten.
Ab 2026 soll der Mehrwertsteuersatz von 20 % auf 22 % angehoben und die Steuerbasis ausgeweitet werden. Entscheidend ist, wie schnell und in welchem Umfang diese Maßnahmen auf die Preise durchschlagen.
Nach Ansicht der Finam-Analystin Olga Belenkaja wird die Bank von Russland erst dann zu einer deutlich lockereren Geldpolitik bereit sein, wenn die Auswirkungen der Steueränderungen klarer absehbar sind.
„Eine Senkung um 50 Basispunkte erscheint als vernünftiger Kompromiss: Die Inflation geht schneller zurück als erwartet, die Wirtschaft bewegt sich in Richtung eines ausgewogenen Wachstums, doch proinflationäre Risiken und hohe Erwartungen bleiben bestehen“, sagte sie.
Wachstum verlangsamt sich, die Wirtschaft schlägt Alarm
Die Zentralbank betont, dass eine Rückkehr der Inflation zum Zielwert von 4 % nur über ein „ausgewogenes Wachstum“ möglich sei. Laut Regierungsprognosen dürfte sich das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr auf 1 % verlangsamen, nach 4,3 % im Vorjahr.
Vertreter der Wirtschaft warnen jedoch vor den sozialen und industriellen Kosten dieses Kurses.
„Große Unternehmen werden überleben, doch kleine könnten einfach umkippen — und wir würden sie verlieren. Ohne sie lassen sich bestimmte Produkte schlicht nicht mehr herstellen“, sagte Renat Mistachow, Direktor der Schiffbaugesellschaft Ak Bars.
Vor diesem Hintergrund dürfte selbst eine moderate Zinssenkung in den kommenden Monaten kaum zu einem Wendepunkt für die russische Wirtschaft werden. Nach Einschätzung von Bloomberg wird die Bank von Russland weiterhin äußerst vorsichtig agieren und zwischen Inflationsbekämpfung, steuerlichen Schocks und Stagnationsrisiken abwägen.
Dieser Artikel wurde auf Grundlage von bei Bloomberg veröffentlichten Informationen erstellt. Der vorliegende Text stellt eine eigenständige Bearbeitung und Interpretation dar und erhebt keinen Anspruch auf die Urheberschaft der ursprünglichen Inhalte.
Das Originalmaterial ist unter folgendem Link einsehbar: Bloomberg.
Alle Rechte an den ursprünglichen Texten liegen bei Bloomberg.


