Nach Ansicht der Washington Post nutzt Peking den runden Jahrestag, um die Erzählung über den Zweiten Weltkrieg an heutige geopolitische Bedürfnisse anzupassen – von Lehrbüchern und akademischen Journals bis hin zu Kino und Social-Media-Clips.
Im Vorfeld der großen Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Kapitulation Japans plant China eine prunkvolle Militärparade – eine Schauvitrine technologischer Stärke und Disziplin der Volksbefreiungsarmee. Parallel zur glanzvollen Inszenierung läuft jedoch eine leisere, beharrliche Kampagne: die Geschichte des Krieges so umzuformen, dass die Bedeutung der amerikanischen Hilfe für China heruntergespielt und die Rolle Moskaus stärker betont wird. Wie The Washington Post (Niha Masih, Lyric Li) festhält, arbeiten daran staatliche Institutionen, Medien und die Popkultur gleichermaßen.
„Hilfe“ mit Vorbehalten: Was regierungsnahe Plattformen schreiben
In der Augustausgabe der mit der Chinesischen Akademie der Geschichte verbundenen Historical Review fiel eine Formulierung, die zum Leitmotiv der neuen Lesart geworden ist:
„Der grundlegende Zweck der ‚Hilfe‘ der USA für China bestand darin, die eigenen Interessen der USA in China zu schützen; sie war keineswegs eine Unterstützung auf Augenhöhe.“
Ähnlich argumentiert das staatlich unterstützte nationalistische Red Culture Institute:
„Selbst ohne US-Hilfe … hätte China eine Chance gehabt, [gegen Japan] zu gewinnen.“
Diese Thesen spiegeln sich in der Massenkultur: An den Kinokassen werden Blockbuster über den Koreakrieg groß beworben, in denen Amerikaner als schwer bewaffnet, grausam und zugleich wenig effektiv erscheinen. Auf den Plattformen verbreiten sich KI-Clips millionenfach, in denen Soldaten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs der heutigen Volksrepublik begegnen und deren Macht bestaunen.
Was Historiker sagen: eine Symbiose, ohne die es nicht gegangen wäre
Fachhistoriker erinnern daran, dass China ohne amerikanische Unterstützung kaum bis zum Kriegsende durchgehalten hätte. Der chinesisch-japanische Krieg brach 1937 aus, große Landesteile wurden von Japan besetzt. Die Niederlage Tokios 1945 nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki führte zur Befreiung Chinas; am 9. September 1945 kapitulierte Japan in Nanjing offiziell auf chinesischem Territorium.
Der Harvard-Professor Rana Mitter, Autor von Forgotten Ally: China’s World War II, betont die wechselseitige Abhängigkeit:
„China und die Vereinigten Staaten brauchten einander“, sagt er. „Ohne Chinas anhaltenden Widerstand hätten die USA im asiatisch-pazifischen Raum ein deutlich größeres Problem gehabt, und ohne amerikanische Finanzhilfen und militärische Beratung wäre es für China viel schwerer gewesen, bis zum Ende des Krieges durchzuhalten.“
Zugleich weist Mitter auf einen anderen Schiefstand hin: Jahrzehntelang sei Chinas Beitrag im Westen unterbewertet worden. Heute aber wähle Peking die Teile der Vergangenheit aus, die den aktuellen Zielen dienen:
„Es geht nicht unbedingt darum, dass die Details falsch sind – manchmal sind sie es, manchmal nicht –, sondern darum, dass sie zu einer Geschichte zusammengesetzt werden, die den Bedürfnissen der Gegenwart entspricht.“
Geopolitischer Kontext: Konkurrenz mit Washington und Annäherung an Moskau
Wie The Washington Post anmerkt, hat sich die Spannung zwischen den USA und China in diesem Jahr vor dem Hintergrund des von Präsident Donald Trump entfesselten Handelskriegs einem wirtschaftlichen Bruch genähert. Peking, das die amerikanische Eindämmungspolitik als Bedrohung seines „Aufstiegs“ sieht, bemüht sich, sich als Stabilitätsanker zu präsentieren – als Gegenbild zu Washingtons „konfrontativem“ und unberechenbarem Kurs.
Diese Rivalität treibt zugleich die Achse mit Moskau voran. Bei den Gedenkfeiern in der russischen Hauptstadt im Mai schrieb Xi Jinping in einem lokalen Medium, eine „korrekte historische Perspektive“ stelle China und die Sowjetunion im Zentrum der Ereignisse in Asien und Europa – ohne die USA und westliche Verbündete zu erwähnen. Wladimir Putin zählt zu den Staats- und Regierungschefs aus 26 Ländern, die zur Parade am 3. September eingeladen sind.
Was tatsächlich geschah: Lend-Lease, die „Flying Tigers“ und Stilwell
Die US-Unterstützung für China kam vor allem über das Lend-Lease-Programm, mit dem Präsident Franklin D. Roosevelt alliierte Staaten mit Rüstungsgütern versorgte, ohne unmittelbar in den Krieg einzutreten – mit späterer Rückzahlung. Laut einem Regierungsvermerk an das US-Außenministerium von 1946 erhielt China bis zur Kapitulation Japans rund 700 Millionen US-Dollar an militärischer Hilfe; insgesamt flossen über das Programm mehr als 49 Milliarden US-Dollar an fast 40 Staaten.
Die Konditionen waren nicht unbedingt weich – „es ist wohl fair zu sagen, dass die Auflagen für China recht belastend waren, aber dasselbe sagte man über die Bedingungen für die Briten“, so Mitter. Die USA drängten ihre Verbündeten durchweg hart auf Zahlung.
Neben Material gab es handfeste und symbolträchtige Beiträge: Die amerikanischen Freiwilligenpiloten der Flying Tigers lieferten der überlegenen japanischen Luftwaffe in Chinas Luftraum erfolgreiche Gefechte; nach Pearl Harbor entsandte Roosevelt General Joseph Stilwell als Militärberater an die chinesische Regierung.
Manche Symbole der Kooperation überdauern die heutige Verstimmung. Nach Angaben der South China Morning Post hat China Nachfahren der „Tigers“ zu den Gedenkveranstaltungen eingeladen. Nell Calloway, Enkelin ihres Kommandeurs General Claire Chennault, rief in einem Gastbeitrag für die staatliche People’s Daily die USA und China dazu auf, auf ihre „historische Erfahrung“ im Zweiten Weltkrieg zurückzugreifen, um die aktuellen Spannungen zu meistern.
Der „sowjetische“ Erzählstrang: Warum Peking Moskaus Rolle betont
Staatliche Publikationen – von der PLA Daily bis zur People’s Daily – insistieren zunehmend, der Beitrag der Sowjetunion werde von den USA und deren Verbündeten systematisch kleingeredet. Gleichzeitig artikuliert die chinesische Fachwelt differenzierte Positionen.
Der Historiker Su Zhiliang (Shanghai Normal University) betont, dass die US-Hilfe entscheidend war und China massiv half. Zugleich räumt er ein, dass die sowjetische Unterstützung untererwähnt blieb: Sowjetische Piloten eilten Wuhan bereits in den 1930er-Jahren zu Hilfe, als die USA noch Isolationismus praktizierten – und dennoch sind sie weit weniger bekannt als die amerikanischen Flying Tigers.
Für Yang Biao (East China Normal University) geht es Peking nicht darum, sich zum „größten Helden“ zu erklären, sondern um ein Bild, das zur gegenwärtigen Größe passt: „China wird mächtiger und will auf natürliche Weise ein Image und eine Erzählung, die seinem realen historischen Status entsprechen. Das zeigt, dass die chinesische Stimme mehr Anerkennung findet.“
Krieg auf Leinwand und im Feed: von KI-Clips bis zu Schulkinobesuchen
Die patriotische Welle schwappt durch die chinesischen sozialen Netzwerke. Hochglanz-KI-Clips und dramatische Montagen lassen den Zweiten Weltkrieg „lebendig“ werden. In einem viralen Video wendet sich ein chinesischer Soldat aus Kriegszeiten – blutverschmiert, rußbedeckt – an einen heutigen Soldaten der Volksbefreiungsarmee: „Haben wir [den Krieg] gewonnen?“ Der nickt, zieht ein Smartphone hervor – und der Krieger von einst löst sich in einen Schwarm Tauben auf. Der Clip sammelte in Douyin (Chinas TikTok-Pendant) nahezu 19 Millionen Likes und Hunderttausende emotionale Kommentare im Gedenken an die „Märtyrer“.
Viele Beiträge zielen explizit auf den „westlichen“ Blick: Bilder schweren Beschusses laufen unter einem Kommentar, der die US-geprägte Kriegsnarration kritisiert. Auf der großen Leinwand treiben Behörden die Promotion von „The Volunteers“ voran – dem dritten Teil einer erfolgreichen chinesischen Filmreihe über den Koreakrieg, in der Amerikaner als schwer bewaffnet, gnadenlos und dennoch wenig erfolgreich gezeichnet werden. Zu den Kassenerfolgen des Jahres zählt „Dead to Rights“, ein Film über die Gräuel des Massakers von Nanjing 1937 an chinesischen Zivilisten durch japanische Truppen.
Die Wirkung ist greifbar. Zhou Yuanqing, Taxifahrer aus Changsha, berichtet, sein neunjähriger Sohn habe den Film im Klassenverband im Rahmen patriotischer Erziehung gesehen und sei heimgekommen „ganz ernst“ – mit dem Bekenntnis, er „hasse die Japaner“. Für Sing Chow, 28, Hongkonger Angestellte eines in Shanghai ansässigen Tech-Unternehmens, war der Film niederschmetternd: „Ich habe gezittert“, sagt sie. Szenen hätten sie zu Tränen gerührt; sie habe „alles gefühlt: Wut, Verzweiflung, Traurigkeit, Empathie, Angst und Trauer“.
Wozu das alles für Peking: Der Jahrestag als Bühne für die „richtige“ Version
Der Jahrestag bietet eine ideale Bühne, die eigene Version der Geschichte zu verstärken und Chinas Rolle in der globalen Sicherheitsarchitektur zu akzentuieren. William Yang, Senior Analyst für Nordostasien bei der International Crisis Group, formuliert es so:
„Gerade in diesem Moment sieht China die Chance, sich als große aufstrebende Militärmacht zu präsentieren … [und] seine eigene Version der Erzählung über den Zweiten Weltkrieg zu injizieren und durchzusetzen, um sich als Verteidiger von Gerechtigkeit, Sieg und Weltordnung darzustellen.“
Dieser Artikel wurde auf Grundlage von bei The Washington Post veröffentlichten Informationen erstellt. Der vorliegende Text stellt eine eigenständige Bearbeitung und Interpretation dar und erhebt keinen Anspruch auf die Urheberschaft der ursprünglichen Inhalte.
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