Warum 800 Milliarden Euro ausreichen, um die Philosophie des „nachhaltigen Investierens“ zu verändern
Das Europäische Parlament hat eine Gesetzesänderung verabschiedet, die es Unternehmen, die Brandwaffen, panzerbrechende Munition mit abgereichertem Uran oder sogar Komponenten für Kernwaffen herstellen, faktisch ermöglicht, ein ESG-Label zu erhalten. Was noch vor kurzem als völlig unvereinbar mit dem Konzept des ethischen Investierens galt, wird nun Teil eines neuen europäischen Verständnisses von Nachhaltigkeit.
Nach Ansicht von Euronews spiegelt diese Entscheidung einen tiefgreifenden politischen Wandel wider: Wenn die EU in den kommenden vier Jahren 800 Milliarden Euro mobilisieren muss, um ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken, können selbst grundlegende Standards wie ESG überprüft und den sicherheitspolitischen Prioritäten angepasst werden.
„Kontroverses“ Waffenarsenal ist kein Ausschlusskriterium mehr für ESG
Die neue Regelung bedeutet, dass Unternehmen, die an der Herstellung von Brandwaffen, Munition mit abgereichertem Uran oder nuklearbezogenen Technologien beteiligt sind, nicht mehr automatisch aus den Nachhaltigkeitsbenchmarks der EU ausgeschlossen werden. Im Gegenteil: Solche Unternehmen können nun für ein ESG-Label in Frage kommen – ein Marker, der traditionell mit Umweltverantwortung, sozialen Standards und guter Unternehmensführung verbunden wurde.
Dies zeigt eine umfassendere Neubewertung des Nachhaltigkeitsbegriffs: Verteidigung und Sicherheit werden zunehmend als Teil der „sozialen Nachhaltigkeit“ verstanden, da die Fähigkeit eines Staates, sich zu schützen, ebenfalls ein Element langfristiger Stabilität ist.
Warum gerade jetzt: 800 Milliarden Euro als ausschlaggebender Faktor
Die EU steht unter starkem Druck, ihre Verteidigungsproduktion massiv auszubauen. Offiziellen Schätzungen zufolge werden dafür in den nächsten vier Jahren bis zu 800 Milliarden Euro benötigt. Eine solche Summe lässt sich kaum mobilisieren, solange große Rüstungsunternehmen durch die bisherigen ESG-Regeln von zentralen Investitionsströmen ausgeschlossen bleiben.
Analysten betonen, dass gerade der finanzielle Umfang der Aufgabe den Ausschlag gegeben hat. Wenn es um hunderte Milliarden Euro geht, zeigt sich die EU bereit, selbst lang etablierte ESG-Prinzipien umzuschreiben.
Die Argumentation der Kommission und der Wandel im Anlegerverhalten
Die Europäische Kommission führt an, dass internationale Konventionen sich auf „verbotene Waffen“ und nicht auf „kontroverse Waffen“ beziehen. Dies ermögliche es, den Kreis der ausgeschlossenen Unternehmen zu verkleinern und eine breitere Integration der Verteidigungsindustrie in das ESG-Regelwerk rechtlich zu untermauern.
Der wachsende Anlegerinteresse bestätigt diese Entwicklung. Laut Bloomberg hat sich seit Februar 2022 die Zahl der ESG-Fonds, die in Unternehmen des Nuklearsektors investiert sind, um mehr als 50 % erhöht — ein deutlicher Hinweis auf die veränderte Wahrnehmung der Rüstungsindustrie durch den Markt.
Politische Auseinandersetzungen im Parlament
Trotz des Widerstands der Sozialisten und Demokraten, der Grünen/EFA und der Linken wurde die Initiative angenommen. Kritiker warnen, dass eine Ausweitung der ESG-Kriterien die Glaubwürdigkeit des gesamten Konzepts untergraben könnte.
Der spanische Sozialdemokrat Jonás Fernández erklärte:
„Dieser Akt erreicht genau das Gegenteil dessen, was er verspricht, indem er die Definition von ‘grün’ so weit ausweitet, dass sie bedeutungslos wird.“
Der Europaabgeordnete Marc Botenga (Die Linke) sagte gegenüber Euronews:
„Dieser Schritt wurde eindeutig entwickelt, um die Produktion innovativer, kontroverser Waffen zu fördern — von Brandmunition bis hin zu autonomen tödlichen Systemen.“
Ein Wendepunkt für ESG — und für die EU
Die Überarbeitung der Nachhaltigkeitskriterien zeigt, dass das ältere, idealistische ESG-Modell nicht mehr zur geopolitischen Lage passt. In einer Welt zunehmender Bedrohungen wird Nachhaltigkeit immer häufiger als Fähigkeit von Gesellschaften verstanden, sich zu verteidigen.
Und wenn 800 Milliarden Euro im Spiel sind, ist die Europäische Union bereit, selbst ihre grundlegendsten Standards neu zu schreiben.
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