Das Levada-Zentrum hat eine Umfrage darüber durchgeführt, wie sich die Teilnahme am Krieg in der Ukraine auf die Kämpfer selbst auswirkt und wie ihre Rückkehr ins zivile Leben die gesellschaftliche Stimmung in Russland beeinflussen könnte. Die Ergebnisse zeigen ein ambivalentes Bild – sowohl in der Wahrnehmung der Kriegsteilnehmer als auch in den Erwartungen an ihre künftige Rolle in der Gesellschaft.
Laut der Erhebung sind 43 % der Befragten der Meinung, dass die Teilnahme am Krieg die Kämpfer „standhaft und mutig“ gemacht habe, während 41 % glauben, sie habe „ihre Seelen verletzt“. Jeder Fünfte ist überzeugt, dass der Krieg sie „grausam und zu Gewalt geneigt“ (19 %) oder „intolerant gegenüber Bösem und Ungerechtigkeit“ (17 %) gemacht habe. Weitere 11 % sind der Ansicht, dass die Teilnehmer „gleichgültig und zynisch“ geworden seien.
Soziologen stellen fest, dass die heutigen Russen im Vergleich zu ähnlichen Umfragen über die Afghanistan-Veteranen aus dem Jahr 1990 häufiger die „Standhaftigkeit“ und den „Mut“ der Teilnehmer betonen – gleichzeitig aber auch häufiger von „Grausamkeit“ und „Zynismus“ sprechen. Ende der 1980er-Jahre überwog dagegen das Bild von „seelischen Verletzungen“ der Soldaten.
Auch die Einschätzungen über die möglichen gesellschaftlichen Folgen der Rückkehr der Kriegsteilnehmer gehen auseinander. 44 % der Befragten erwarten eine Stärkung von Ordnung und gesellschaftlichem Zusammenhalt, während 39 % einen Anstieg von Konflikten und Kriminalität prognostizieren. 17 % konnten keine klare Meinung äußern.
Die Erwartung einer Stärkung der öffentlichen Ordnung ist häufiger unter älteren Befragten (51 % in der Gruppe 55+), Moskauerinnen und Moskauern (62 %), jenen, die glauben, dass sich „das Land in die richtige Richtung bewegt“ (50 %), sowie unter Personen, die dem Fernsehen als Informationsquelle vertrauen (58 %). Die Sorge vor wachsender Konfliktbereitschaft äußern vor allem Russinnen und Russen im Alter von 25 bis 39 Jahren (45 %), Bewohner mittelgroßer Städte (45 %) und diejenigen, die den Kurs des Landes als „falsch“ bewerten (57 %).
Nach Angaben eines der Soziologen hat sich in der Gesellschaft bislang kein klares Bild darüber herausgebildet, wie die Rückkehr der Kriegsteilnehmer die Lage im Land beeinflussen könnte.
„Die Behörden auf föderaler und regionaler Ebene beschäftigen sich aktiv mit Fragen der Unterstützung, Anpassung und Integration der Kriegsteilnehmer. Die Gesellschaft selbst ist an diesem Prozess jedoch kaum beteiligt – von ihr wird lediglich erwartet, die Entscheidungen des Staates zu akzeptieren und zu unterstützen“,
so der Experte.
Das Bild der Kriegsteilnehmer in der Öffentlichkeit sei stark polarisiert: Ein Teil der Bevölkerung verknüpft mit ihnen Hoffnungen auf Stabilität und Ordnung, ein anderer Teil fürchtet einen Anstieg von Gewalt und Kriminalität. Vor allem „Loyalisten“ und das Publikum staatlicher Medien äußern häufiger Zuversicht, dass die Veteranen Stabilität bringen werden – besonders in Moskau, wo der Anteil der Kriegsteilnehmer geringer ist als in den meisten Regionen.
„Viele erinnern sich daran, dass in den 1990er-Jahren ein Teil der Afghanistan-Veteranen in kriminelle Strukturen geriet. Heute gibt es jedoch ein stärkeres Vertrauen in den Staat – dass er ein solches Szenario verhindern wird“,
erklärte der Soziologe.
In der Öffentlichkeit wächst die Sensibilität gegenüber Berichten über von Kriegsveteranen begangene Gewalttaten und Verbrechen. Die meisten Bürger reagieren auf solche Fälle äußerst negativ. In der Gesellschaft ist die Erinnerung an die afghanischen Gruppen noch lebendig, die in der späten Sowjetzeit den Kern mehrerer krimineller Vereinigungen bildeten.
„Über dieses Thema wird in der Gesellschaft kaum gesprochen, weshalb die Mehrheit der Russen noch keine klare Haltung entwickelt hat“,
so der Experte weiter.
„Insgesamt ist der gesellschaftliche Planungshorizont kurz: Probleme werden angegangen, sobald sie auftreten. Solange der Krieg andauert, ziehen es viele vor, nicht über die Folgen nachzudenken. Dennoch bleibt eine unterschwellige Sorge bestehen – und die Mehrheit ist überzeugt, dass der Staat mit den möglichen Risiken fertigwerden muss.“