Die neuen Sanktionen Washingtons gegen die größten russischen Ölunternehmen – Rosneft und Lukoil – stellen den schwersten Schlag gegen Moskaus Rohölexporte der vergangenen Jahre dar. Die am 21. November in Kraft getretenen Beschränkungen versetzten die Ölmärkte sofort in Unruhe: Händler und Analysten versuchen zu verstehen, wie tiefgreifend diese Maßnahmen die globalen Lieferketten und die Struktur der Nachfrage verändern werden. Nach Einschätzung von Bloomberg könnten die Folgen deutlich weitreichender sein, als zunächst erwartet wurde.
Wie die Sanktionen den globalen Ölmarkt beeinflussen
Russland bleibt einer der größten Energielieferanten der Welt und exportiert täglich rund 7,4 Millionen Barrel Rohöl und Ölprodukte – etwa 7% des weltweiten Verbrauchs. Nun stehen die Unternehmen, die den Großteil der russischen seeseitigen Lieferungen abwickeln, unter direkten US-Sanktionen. Da der weltweite Handel stark von Banken, Versicherern und Logistikdienstleistern aus den USA und der EU abhängig ist, sieht sich ein großer Teil des Marktes faktisch gezwungen, Transaktionen mit Rosneft und Lukoil zu vermeiden, um sekundäre Sanktionen zu umgehen.
Indien und China – die beiden größten Abnehmer russischen Öls – importierten im Oktober gemeinsam rund 3,6 Millionen Barrel pro Tag. Nach der Ankündigung der Sanktionen signalisierten indische Raffinerien, dass sie fast alle Käufe einstellen wollten. Tatsächlich haben sich die Importe bislang nur verlangsamt, doch das Risiko eines vollständigen Stopps bleibt bestehen. Sollte Indien seine Drohung wahrmachen, stünde Moskau vor einem erheblichen Mangel an alternativen Abnehmern. China wiederum hat laut Marktberichten bereits mehrere Lieferungen storniert und zeigt keine Bereitschaft, die Importe zu erhöhen.
Ein gleichzeitiger Rückzug der beiden größten Kunden Russlands würde zwangsläufig die Konkurrenz um Lieferungen anderer Produzenten verschärfen und die globalen Preise nach oben treiben. Bereits am Tag der Sanktionen schossen die Benchmarks im Nahen Osten deutlich in die Höhe – ein Zeichen wachsender Nachfrage nach alternativen Sorten.
Was genau die USA verhängen
Die Sanktionen des US-Finanzministeriums richten sich gegen Rosneft, Lukoil und alle Unternehmen, an denen diese direkt oder indirekt zu 50% oder mehr beteiligt sind. US-Unternehmen wird jegliche Geschäftsbeziehung mit diesen Firmen untersagt; ausländische Unternehmen riskieren sekundäre Sanktionen. Die Abwicklungsfrist für bestehende Geschäfte endete am 21. November.
Zuvor hatten die USA unter Präsident Joe Biden bereits Gazprom Neft und Surgutneftegas sanktioniert. Die Europäische Union schloss sich an und untersagte Geschäfte mit Rosneft und Gazprom Neft.
In der Praxis schneiden die Sanktionen die betroffenen Unternehmen von zentralen Dienstleistungen ab – darunter Finanzierung, Versicherung, Schifffahrt und weitere essenzielle Elemente des globalen Handels, die größtenteils unter US- und EU-Recht stehen.
Warum Washington den Druck erhöht
Offiziell sollen die Sanktionen die Einnahmen des Kremls reduzieren, die zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine verwendet werden. Öl- und Gaseinnahmen machen rund ein Viertel des russischen Bundeshaushaltes aus. Nach Einschätzung von Bloomberg hat die Regierung von Präsident Donald Trump erstmals direkt den russischen Ölsektor ins Visier genommen – ein deutlicher Kurswechsel gegenüber früheren Maßnahmen. Zuvor lag der Schwerpunkt auf dem Preisdeckel-Mechanismus, der 2022 von der G7, der EU und Australien eingeführt wurde.
Dieser Deckel – 60 US-Dollar pro Barrel – beschränkte den Zugang zu westlichen Dienstleistungen für Käufer, die mehr bezahlten. In der Praxis jedoch hat Russland erfolgreich alternative Strukturen aufgebaut: eine große „Schattenflotte“ älterer Tanker sowie parallele Versicherungs- und Finanznetzwerke, die einen hohen Exportumfang ermöglichten.
Wie die Sanktionen Russland treffen werden
Erste Anzeichen des Drucks sind bereits sichtbar. Die seeseitigen Lieferungen russischen Rohöls gehen zurück, die Preise für russisches Öl sind gefallen, und die Haushaltseinnahmen aus dem Energiesektor erreichten mit etwa 1,2 Milliarden US-Dollar pro Woche den niedrigsten Stand seit zweieinhalb Jahren.
Die entscheidende Frage lautet, ob Russland die verlorenen Mengen vom indischen Markt umleiten kann. China, obwohl strategischer Partner Moskaus, zeigt wenig Begeisterung: Die chinesische Wirtschaft verlangsamt sich, die Rohölvorräte sind hoch, und die Diversifizierung der Lieferanten ist seit Langem ein zentraler Grundsatz der Energiepolitik in Peking. Zudem wird der größte Teil der russischen Lieferungen nach Indien per Tanker transportiert, und eine Umleitung nach China wäre extrem schwierig, wenn westliche Reedereien, Banken oder Händler sich weigern, mitzuwirken.
Theoretisch könnte Russland das Modell nutzen, das bei iranischem Öl angewendet wird: Lieferungen über die „dunkle Flotte“ und Schattenfinanzierung an unabhängige chinesische Raffinerien. Doch diese Kanäle sind volumenmäßig begrenzt und mit erheblichen Risiken verbunden.
Auswirkungen auf Indien
Indische Raffinerien haben ihre russischen Rohöleinkäufe für Dezember bereits reduziert. Das größte private Unternehmen des Landes, Reliance Industries, kündigte an, die Verarbeitung von russischem Rohöl im exportorientierten Teil der gigantischen Raffinerie Jamnagar vollständig einzustellen. Die letzte Lieferung russischen Öls traf dort am 20. November ein.
Für Neu-Delhi könnte die Verringerung der Importe auch handelspolitische Vorteile bringen. Die Trump-Regierung hatte zuvor höhere Zölle auf indische Waren verhängt, weil Indien große Mengen russischen Öls kaufte. Eine geringere Abhängigkeit von Moskau könnte ein Argument zur Lockerung dieser Maßnahmen liefern.
Was China tun könnte
China bleibt der größte Käufer russischen Rohöls, aber laut Bloomberg sind seine nächsten Schritte besonders schwer einzuschätzen. Peking hat kürzlich den Handelskonflikt mit Washington entschärft und sieht sich derzeit nicht in gleichem Maße mit der Drohung sekundärer Sanktionen konfrontiert wie Indien.
Allerdings kann China die indischen Importmengen nicht einfach ersetzen – insbesondere nicht die seeseitigen Lieferungen. Die Logistik ist komplex, und selbst staatliche Energieunternehmen in China sind vorsichtig gegenüber sekundären Sanktionen. Peking könnte ähnliche Mechanismen nutzen wie beim Kauf iranischen Öls – „dunkle Flotte“ und unabhängige Raffinerien. Doch diese Strukturen lassen sich nicht ohne Weiteres auf mehrere Millionen Barrel pro Tag ausweiten.
Werden die Sanktionen den globalen Markt destabilisieren?
Sollten Indien und China ihre Käufe russischen Öls drastisch reduzieren, wäre der globale Ölmarkt gezwungen, sich schnell neu zu ordnen: Die Nachfrage nach Sorten aus dem Nahen Osten würde stark steigen, und die Preise könnten angesichts knapperen Angebots deutlich anziehen. Analysten verzeichnen bereits zunehmende Volatilität, und die Benchmarks sind spürbar gestiegen.
Gleichzeitig zeigt die Erfahrung, dass die russischen Exporte nach neuen Sanktionen oft nur vorübergehend sinken: Betreiber der Schattenflotte passen sich an, neue Routen entstehen, und die Lieferungen stabilisieren sich wieder. Die endgültige Wirkung hängt davon ab, wie strikt die USA sekundäre Sanktionen durchsetzen und wie konsequent Vermittler weltweit diese beachten.
Nach Einschätzung von Bloomberg könnte das neue Sanktionspaket der bislang schwerste Schlag gegen den russischen Ölsektor seit Beginn des Krieges sein. Doch die Auswirkungen auf den globalen Markt bleiben ungewiss. Alles hängt davon ab, ob Indien und China bereit sind, auf günstige russische Lieferungen zu verzichten, um Sanktionsrisiken zu vermeiden – und ob Moskau in der Lage ist, unter zunehmend begrenzten Bedingungen neue Lieferketten aufzubauen.
Dieser Artikel wurde auf Grundlage von bei Bloomberg veröffentlichten Informationen erstellt. Der vorliegende Text stellt eine eigenständige Bearbeitung und Interpretation dar und erhebt keinen Anspruch auf die Urheberschaft der ursprünglichen Inhalte.
Das Originalmaterial ist unter folgendem Link einsehbar: Bloomberg.
Alle Rechte an den ursprünglichen Texten liegen bei Bloomberg.


