Das russische Wirtschaftsministerium hat offiziell eine grundlegende Verlangsamung der Wirtschaft eingeräumt. Damit endet die Nachkrisenerholungsphase und beginnt eine Ära, die von geringem Wachstum und harten strukturellen Zwängen geprägt ist. Die aktualisierte Makroprognose des Ministeriums reduziert die Erwartungen für BIP, Investitionen und Konsumnachfrage deutlich – und skizziert politische Optionen, die eher auf fiskalische Stabilität als auf eine erneute Expansion abzielen.
Neustart des Ausblicks: Wachstum halbiert
- BIP 2025: nach unten revidiert von 2,5 % auf 1,0 %.
- BIP 2026: gesenkt von 2,4 % auf 1,3 %.
Die Aussicht, erst 2027–2028 wieder über 2,5 % Wachstum zu kommen, wirkt eher wie ein Fernziel denn als Basisszenario. De facto räumt das Ministerium ein, dass die Wirtschaft in eine Phase „sanfter Stagflation“ eintritt – etwa 1 % Wachstum bei weiterhin erhöht, wenn auch nachlassender Inflation (rund 6,8 % im Jahr 2025) –, nachdem das Modell der Jahre 2022–2024 an Kraft verloren hat.
Warum das Wachstum abkühlt
- Nachlassender Fiskalimpuls: Allein durch Budgetzuflüsse in die verarbeitende Industrie lässt sich kein hohes Expansionstempo mehr halten. Das bestätigt die deutliche Verlangsamung des Industrieproduktionswachstums auf 1,5 % im Jahr 2025 (zuvor 2,6 %). Der fiskalische Schub schwächt sich ab und wird nicht durch private Investitionen ersetzt.
- Investitionsmüdigkeit: Die Anlageinvestitionen sollen 2025 auf 1,7 % abbremsen und 2026 um 0,5 % zurückgehen – ein deutliches Warnsignal für künftige Kapazitäten und Produktivität.
- Erschöpfte Konsumenten: Hohe Inflation und teure Kredite dämpfen die Nachfrage. Reallöhne sollen sich halbieren (von 6,8 % auf 3,4 % im Jahr 2025); reale Haushaltseinkommen von 6,2 % auf 3,8 % zurückgehen.
- Einzelhandel bremst stark: Der Einzelhandelsumsatz soll von 7,7 % im Jahr 2024 auf 2,5 % im Jahr 2025 deutlich abkühlen – den Haushalten bleibt immer weniger „freies“ Geld.
Öl, Abschläge und der Rubel
Auf der externen Seite zeigt sich das Ministerium gelassen hinsichtlich der Erlöse aus dem Energiesektor und der Währungsdynamik:
- Urals-Preis: nur geringfügige Anpassungen (innerhalb von 2–4 US-$ pro Barrel), stabil im Bereich 58–65 US-$.
- Abschlag zu Brent: soll sich von rund 12 US-$ auf etwa 5 US-$ verringern – Ausdruck von Vertrauen in die weitere Anpassung der Exportlogistik.
- Rubel: erwartet bei 86,1 RUB/USD im Jahr 2025 (stärker als 94,3 in der April-Prognose).
Politische Implikationen: Kurs auf 22 % MwSt.
Die neue Prognose dient zugleich als Begründung für unpopuläre fiskalische Maßnahmen, allen voran eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 22 %:
- Langsameres BIP-Wachstum bedeutet trägeres Wachstum der Steuereinnahmen.
- Staatliche Verpflichtungen steigen weiter (sichtbar im Haushaltspaket).
- Um ein Defizit zu vermeiden und alle Zusagen zu erfüllen, müssen nicht-rohstoffliche Einnahmen steigen – daher die höhere MwSt., die laut Ministerium bereits in der Inflationsprognose eingepreist ist.
Offizielle betonen, dass selbst bei niedrigen Ölpreisen kein BIP-Rückgang erwartet werde; vor dem Hintergrund prognostizierter Stagnation ist das allerdings ein schwacher Trost.
Warum das dennoch zu optimistisch sein könnte
- Inflationsinertia: Ein MwSt.-bedingter Preisschub könnte Erwartungen verfestigen und die Zentralbank zwingen, die Zinsen länger hoch zu halten, als das Ministerium annimmt.
- Rückgang der Investitionen 2026: Der erwartete Rückgang der Anlageinvestitionen gefährdet das langfristige Wachstum, weil Kapitalvertiefung und technologisches Aufholen stocken.
- Unterschätzte Risiken: Die Realisierung von sekundären Sanktionen oder härteren Handelsbeschränkungen könnte die Isolation vertiefen und die Exporte stärker treffen als modelliert.
Die neue Normalität
Faktisch bereitet die Politik die Wirtschaft auf „schleppendes Wachstum“ vor, bei dem die Prioritäten von rascher Entwicklung zu Stabilität, Umsetzung staatlicher Vorgaben und Inflationskontrolle verschoben werden. Ein BIP-Wachstum von 1–2 % wird zur neuen Normalität – ein Eingeständnis, dass Russland in eine längere Phase struktureller Beschränkungen eintritt.


